Duell auf offener Straße - Aggression an der Leine

von Nadin Matthews / www.dogument.de


Sie zerren wie verrückt, hängen in der Leine, erwürgen sich fast mit ihrem eigenen Halsband, knurren, geifern, bellen: Hunde, die sich an der Leine aggressiv gebärden, sind für viele Menschen ein großes Problem. Schnell geraten der Hund und sein Mensch in einen Teufelskreis. Viele Versuche, am Verhalten des Hundes etwas zu verändern, bewirken genau das Gegenteil.


Und Action!

Mit dem Wetterbericht kommt die Angst. Jeden Abend, wenn der Nachrichtenabspann
läuft, kriecht sie ihr schon in den Nacken. Angst vor 800 Metern. Angst vor der
Abendrunde. Wer könnte jetzt noch mit seinem Hund unterwegs sein? Asco müsste
schon wieder zuhause sein, aber Timmy und Max…..
Sie greift nach der Leine. Schäferhund-Mix Benno kennt das Geräusch und schießt aus
seinem Korb, in dem er sie aufmerksam beobachtet, an die Tür. Startsignal für seinen
großen Auftritt. Noch ein letztes Mal will er es heute allen zeigen: Er ist der König der
Strasse.
Sie fühlt sich ganz und gar nicht königlich und packt sicherheitshalber noch das Halti
ein. Man weiß ja nie, was – oder besser wer – kommt. Besser auch noch den Ball
mitnehmen. Vielleicht kann sie ihn ja diesmal damit ablenken. Und ein paar Leckerli
werden auch noch eingepackt. Mit diesem ganzen Arsenal an „Wunderwaffen“ – in der
Hundeerziehung Hilfsmittel genannt- schleicht die Hundebesitzerin die Treppen herunter.
Verkehrte Welt? Sollte sie nicht fröhlich und entspannt mit ihrem Hund die schöne
Abendluft genießen können? Schließlich geht eine Menge Geld für allerfeinstes
Hundefutter, Kauknochen und Spielzeug drauf, jede Tierarztrechnung wird bar bezahlt,
sie geht mit Benno regelmäßig in eine Hundeschule und kann noch nicht einmal
spazieren gehen, wann, wo und wie sie will.
Vielen geht es so. Jeden Tag wagen sich Leute mit einem unguten Gefühl und ihrem
Hund an der Leine auf die Straße. Schon die Minuten vor dem Gassi-Gang sind voller
Anspannung. Das bleibt vom Hund nicht unbemerkt. „Kommunikation verläuft immer
kreisförmig“ hat Paul Watzlawick in seinen Gesetzen der Kommunikation formuliert. Das
heißt, dass die Reaktion des einen Kommunikationspartners auch gleichzeitig eine
Aktion ist, auf die der andere wiederum reagiert. Oder übersetzt: Benno rechnet die
Uhrzeit mit der Stimmung seiner Besitzerin zusammen und weiß, dass es nun hinaus
geht. Durch ein schnelles und aufgeregtes Pendeln zwischen seinem Menschen und der
Haustür, versucht er den Start des Spazierganges zu beschleunigen.
Und: Benno hat natürlich mitbekommen (er hat ja sonst nichts zu tun), dass Ball und
Futter beim Spaziergang dabei sind. Damit hat er jetzt schon zwei Gründe mehr, um
mit durchgedrückten Beinen, erhobener Rute und geradem Rücken aus der Tür zu
stürmen. Frei nach dem Motto: „mein Mensch, mein Futter, meine Beute“ kann für ihn
der Reviergang beginnen. Er startet die Abendrunde mit stolz geschwellter Brust. Sie mit
angestrengter Miene. Er zieht in eine Demonstration seiner eigenen Macht. Sie zieht in
den Krieg. Wettlauf der Sinne.

Während sie hektisch die Straße nach potentiellen Hunden und Haltern absucht, bringt
sich Benno durch das Überpinkeln anderer Markierungen olfaktorisch ein. Für ihn eine
geniale Arbeitsteilung. Sie arbeitet visuell und wird ihm sofort körpersprachlich
signalisieren, ob ihnen ein anderer Hund entgegenkommt. Er dagegen kann sich auf die
geruchliche Suche begeben und wird sich immer noch rechtzeitig genug in Position
bringen.
Und da biegt er plötzlich um die Ecke, Bennos Erzfeind. Asco, dreijähriger
Rottweilerrüde, unkastriert, gleiches Alter, gleiches Kampfgewicht. „Wieso ist der denn
um diese Zeit unterwegs“? fragt sie sich noch verzweifelt und schafft es nicht mehr,
den anderen Weg einzuschlagen. Also Leine kurz nehmen und Benno mit einem „Fuß“
an die Seite holen. Schon weiß Benno Bescheid. „Leine kurz“ heißt: anderer Hund. Das
Kommando „Fuß“ heißt: in meiner Kampfklasse. Benno ist in Bestform. Angespannt und
mit einem festen Blick marschiert er geradewegs auf Asco zu. Dass bei ihr Atem- und
Pulsfrequenz steigen, Schweißdrüsen ihre Arbeit aufnehmen und sie auch noch
beruhigend auf ihn einredet, stachelt Benno nur noch mehr an. Denn für ihn ist jetzt
klar: Alarmstufe eins. Benno signalisiert ihr: „Das übernehme ich“ und schiebt sich an
ihr nach vorne. In ihrem Ohr noch immer wie ein Echo die Stimme ihrer Hundetrainerin:
„Entspannen Sie sich, sonst verstärken Sie auch noch sein Verhalten.“ Aber wie soll sie
sich jetzt noch entspannen? Und wo ist eigentlich diese Hundetrainerin, wenn man sie
braucht?

Showdown
Sie fummelt nervös an ihrer Tasche herum und versucht noch schnell, den Ball mit ins
Spiel zu bringen. „Schau mal Benno, Dein Ball, ja – wo isser denn?“. Er scheint
beunruhigt. Wie kann sie jetzt, wo der andere Rüde kommt, mit unserer Beute
herumwedeln? Er versucht sich trotz Ball zu konzentrieren und beginnt den anderen
Rüden zu fixieren. Sie weiß, was das heißt. Mit dem Tunnelblick eines Skispringers
springt er kräftig in die Leine.
Gerade noch rechtzeitig kann sie mit beiden Händen die Lederleine festhalten. Benno
ist in seinem Element. Seine Besitzerin bangt darum, ihren Stand zu halten und blickt
verzweifelt den anderen Hund an. Mit einem „Sitz“ versucht sie zu kontern, schickt ein
„Platz“ hinterher und ein lautes „Nein“. Alles vergebens. Benno steht auf beiden
Hinterbeinen, hängt sich fast auf, während er mit hochgezogenen Lefzen den anderen
Hund angeifert und sich darüber freut, dass seine Besitzerin sein Hobby teilt.
Zu zweit pöbelt es sich einfach schöner.
Der andere Hundehalter signalisiert unterdessen durch herablassendes Lächeln seine
Überlegenheit. Er kann seinen Hund ohne Probleme halten, bringt als Mensch aber
auch locker dreißig Kilo mehr auf die Waage. Benno hingegen hat es schon einmal
geschafft, sie über den Gehweg zu schleifen. Diesmal gelingt ihm das zwar nicht, fertig
ist sie trotzdem. Als Asco samt Besitzer an ihnen vorbei sind, atmet Benno –
inzwischen wieder auf allen vieren – den beiden noch einmal lautstark hinterher,
schüttelt sich und rempelt in einem kurzen Sprung seine Besitzerin an. Er fühlt sich
triumphal, sie fühlt sich miserabel. Vor dem Spiel ist nach dem Spiel – das wissen
beide.

Noch dreihundert Meter Abendrunde. In vielen Fenstern geht das Licht aus. Benno hebt
noch mehrmals das Bein, sie entspannt sich langsam. Eine letzte Straßenecke – es ist
geschafft – niemand sonst ist noch unterwegs. Das nächste Mal, sagt sie sich, gehe ich
nach dem Nachtmagazin. Dann sind die anderen bestimmt schon weg. Zuhause läuft
noch der Fernseher. Der Krimi hat begonnen. Ihr Krimi ist vorbei.
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Ich kann mir gut vorstellen, dass einige Hundehalter dieses Problem kennen.
Ich habe mit Bruno auch solche Probleme, habe aber keine Angst vor einem Spaziergang, da ich Bruno problemlos halten kann. Ohne Leine hat er gar keine Probleme, an der Leine ist es im Grunde so, wie hier beschrieben. Ich bin mir nicht sicher, woher dieses Verhalten kommt. Bruno wurde schon mehrmals von Hunden bedrängt und sogar angegriffen. ich könnte mir vorstellen, dass er deswegen jetzt gleich in die Angriffshaltung geht.

Ich arbeite weiter daran und gebe nicht auf, denn Bruno ist ein wundervoller Hund.
Was ich nicht mehr zulassen werde sind Kontakte zu fremden Hunden an der Leine.
das werde ich nur noch ohne Leine in einer sicheren Umgebung erlauben. Ich muss zugeben, dass ich mich da schon oft nicht getraut habe NEIN zu sagen.

Welche Erfahrungen hast du mit deinem Hund an der Hundeleine gemacht?
Ich freue mich auf deine Kommentare.

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